Lagerprozesse mit SAP EWM optimieren & automatisieren

Lagerprozesse mit SAP EWM optimieren & automatisieren

Holger Wermke
SAP EWM
Lagerlogistik

“Warehouse Management mit SAP S/4HANA” ist das Standard-Werk rund um SAP EWM. In der vierten Auflage geht es speziell um EWM im S/4HANA Kontext. Wir haben uns das Buch angeschaut – insbesondere mit Fokus auf die mobilen Prozesse. Erfahren Sie hier, warum das Buch wertvoll ist und wo es Lücken gibt.

 

SAP Extended Warehouse Management – kurz SAP EWM – ist das strategische Produkt der SAP für die Lagerverwaltung. So das klare Statement der Autoren in der Einleitung. SAP EWM ist schon lange am Markt. Seit 2005 bietet SAP mit SAP EWM eine Lösung für die skalierbare Lagerverwaltung.

Allerdings: Mit der Umstellung auf S/4HANA entscheiden sich immer mehr Unternehmen für die Nutzung von SAP EWM. Auch weil die SAP die Alternativen eben nicht strategisch vermarktet.

Umso wichtiger ist ein Leitfaden für all jene Unternehmen, die eine Einführung von SAP EWM planen oder EWM im Einsatz haben. Diesen Leitfaden mit einer umfassenden Einführung in Implementierungsoptionen, Funktionsumfänge, Prozesse und Systemeinstellungen bietet das Buch.

 

1.000 Seiten voller SAP EWM-Know-how - wow

 

Worin liegt der Wert des Buches? Das Buch ist ein Kompendium. Ein Nachschlagewerk. Ein Ratgeber. Ein Begleiter bei Einführung und produktiver Nutzung von EWM.

Bereits 2010 erschien die erste Auflage. Seinerzeit lag der Fokus noch auf der Bedeutung von Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit von Lieferungen, wie es im Vorwort von Florian Kuchta, Head of Product Management Extended Warehouse Management bei SAP, heißt.

Die folgenden Ausgaben zeichnen die Evolution von EWM nach: Über die Integration industriespezifischer Anforderungen (2. Auflage) sowie der Individualisierung von Produkten bis zur Losgröße 1 (3. Auflage) bis zur jüngsten Ausgabe: der Integration von EWM in die S/4HANA Suite.

 

Hier kurz einige Fakten zum Buch:

  • Erscheinungsjahr: 2023 (4. Auflage)
  • Autoren: Frank-Peter Bauer, SAP EWM Projektleiter; Jens Kappauf, Supply Chain Management Experte, Christoph Persich, WM- und EWM-Experte bei SAP
  • Verlag: Rheinwerk (SAP Press)
  • 1.276 Seiten
  • Zielgruppe: IT-Management, Projektleitung, Prozessberatung, Anwender
  • Link zum Buch

 

Welches Ziel verfolgen Bauer, Kappauf und Persich mit Ihrem SAP EWM-Buch?

 

Sie schreiben nach eigener Aussage einen Leitfaden für die Implementierung logistischer Prozesse mittels SAP EWM. Dabei ist EWM überaus mächtig (Eine eigene Anmerkung: Für manche Unternehmen sicher auch zu mächtig, wie unsere Gespräche immer wieder zeigen).

Was leistet das Extended Warehouse Management: EWM organisiert, steuert und überwacht die physischen Warenbewegungen im Lager bis hin zu komplexen Abläufen wie Cross-Docking-Prozessen, Yard-Management und logistischen Zusatzleistungen.

Das Fundament für die Lagerprozesse bildet auch unter S/4HANA die zentrale Bestandsführung im ERP-System; auch die Stammdatenverwaltung verbleibt im SAP ERP, wobei letztere unter S/4HANA deutlich vereinfacht und performanter gestaltet ist, wie die Verfasser an Beispielen wie dem Geschäftspartner Konzept oder der Verzicht auf redundante Belege.

 

Mobile EWM-Prozesse & SAP-Bordmittel

 

Was sagen die Autoren eigentlich zu mobilen Lagerprozessen? Also der Bearbeitung von Lageraufgaben mittels Handheld oder Stapler-Terminal? Dem Thema dieses SAP Mobility Blogs?

 

mobile solution cta

Sie haben Fragen zu mobilen Lösungen?

Beratung anfragen

 

 

Im Kapitel 13 (von 17) widmen sie sich auf 74 Seiten dem Thema. Die Autoren legen ihr Augenmerk ausschließlich auf die integrierten Möglichkeiten von SAP bzw. SAP EWM. Das ist schade, weil damit alternative, praxisbewährte zeitgemäße Ansätze für mobile EWM-Apps für den Logistiker, den SAP-Key User oder IT-Manager verschlossen bleiben. Und implizit als wenig relevant dargestellt werden (dabei gibt es Alternativen für mobile SAP EWM Prozesse).

 

Wichtige Aspekte sind:

  • SAP GUI für GUI-basierte Geräte und Workstations
  • SAPConsole für textbasierte Geräte
  • ITSmobile für die webbasierte und grafische Darstellung sowie die Pick-by-Voice- und RFID-Integration
  • SAP Screen Personas/EWM MOBGUI
  • SAP Fiori wird derzeit vor allem auf Tablets verwendet. Die Verwendung von SAP Fiori auf mobilen Handgeräten ist seitens SAP nicht vorgesehen bzw. empfohlen.
  • die App SAP Warehouse Operator für das iPhone von Apple
  • Integration von Nicht-SAP-Systemen durch die Nutzung von Schnittstellen (APIs), wie z. B. Remote Function Call (RFC) oder Webservices

 

Anbindung von SAP EWM-Lager-App, Ontego, inkl. SAP Schnittstellen zu Drittanbieter-Clients SAP-Systemlandschaft für die Integration mobiler Geräte mit SAP EWM / Quelle: Warehouse Management mit SAP S/4HANA - kommentiert von commsult

 

Was erkennen wir aus der Auflistung? Die Auflistung spiegelt deutlich die SAP-Beraterperspektive. Das ist nachvollziehbar aus Sicht der Autoren. Mobile Prozesse sind aus Beraterperspektive ein Nischenthema – auch das verständlich, wenn man die Komplexität des SAP EWM Customizings berücksichtigt. Gleichzeitig sehen und betonen sie die Individualität mobiler Projekte...

 

Schade ist es dennoch, wenn aus technischer Sicht veraltete (ITSmobile, SAP Console), unflexible Ansätze (SAP Screen Personas) bzw. wenig nutzerfreundliche Ansätze (EWM MOBGU) im Buch fokussiert betrachtet werden – und die spannende Welt alternativer App-basierter Ansätze außen vor bleibt.

Mehr dazu weiter unten.

 

Die Erfahrung aus vielen Projekten zeigt, dass die Dialogfolge der Anwendungen in der Lagerlogistik selbst nie vereinheitlicht werden kann.
-Bauer, Kappauf und Persich

 

SAP EWM - embedded oder dezentral?

 

Doch zurück zum Buch. Der Leitfaden-Idee folgend erläutern die Autoren in den Kapiteln 2 bis 7 detailreich und technisch unterlegt grundlegende Aspekte rund um die Implementierung eines SAP EWM. Ein Muss für jeden Leser, der eine EWM-Einführung prüft, plant oder umsetzt.

Die Optionen reichen im Kontext S/4HANA von einer Integration als zentrales, in das ERP integriertes Lagerverwaltungssystem (embedded) oder dezentral angebunden an das ERP.

 

  • In der “Embedded-Variante” stehen eine einfache Lagerverwaltung oder das Extended Warehouse Management zur Verfügung.
  • Die dezentrale Option bietet sich an, wenn Lagerprozesse skalierbar und hoch performant möglich sein sollen.

 

Darüber hinaus stehen Unternehmen vor der Frage, ob das EWM-System On-Premise im eigenen Rechenzentrum oder in der SAP Cloud (hier wiederum private oder public) aufgesetzt werden soll. Der Vorschlag der Autoren für Entscheidungskriterien bieten eine praktische Handreichung an den Leser.

 

Lagerstrukturen in S/4HANA und EWM customizen

 

Der Leser erfährt, wie man eine Lager-Organisationsstruktur in S/4HANA und korrespondierend im EWM abbildet (Kapitel 3) inkl. erforderlicher Einstellungen. Dazu zählen die Organisationselemente Buchungskreis, Werk, Lagerort, Lagernummer und Versandstelle im ERP, wie auch die SAP EWM-Elemente Lagernummer, Lagertyp, Lagerbereich, Lagerplatz, Aktivitätsbereich, Arbeitsplatz, Wareneingangsbüro und Versandbüro.

Entscheidend für eine erfolgreiche EWM-Einführung ist die Stammdaten-Qualität. An dieser Stelle können wir nur zustimmen – auch für fehlerfrei funktionierende mobile EWM-Lösungen sind korrekte Stammdaten essentiell.

 

 
Erfahren Sie alles über moderne mobile SAP Apps in Lager und Produktion.

 

Den Stammdaten widmen die Autoren zurecht ein eigenes Kapitel (4). Auf fast 100 Seiten diskutieren sie darüber hinaus die verschiedenen Arten von Beständen, deren Bedeutung und Nutzen sowie die Funktionen des SAP-EWM-Systems für die Verwaltung von Beständen (Kapitel 5).

 

Lieferabwicklung – zentrales Element in EWM

 

Eine der zentralen Komponenten von SAP EWM ist die Lieferabwicklung (Kapitel 7), betonen die Autoren. Sie verwaltet Basisdokumente für die Abwicklung von Wareneingang, Warenausgang, Retouren und Umlagerungen.

Die Lieferabwicklung bildet auch die Schnittstelle zur Anbindung der externen Auftragsverwaltung, z. B. eines S/4HANA-Systems. Kapitel 8 rund um die Grundlagen der Prozesssteuerung rundet diesen Teil des Buches ab. Erklärt werden das Wellenmanagement, das Konzept der Lageraufgaben in EWM (anstelle der aus SAP WM bekannten Transportaufträge) und deren Bündelung zu Lageraufträgen sowie die Mechanismen der Lagersteuerung und die damit mögliche Automatisierung von Prozessen.

 

Scanner-Lösungen mit SAP EWM in der Lagerlogistik

 

EWM für die gesamte Lagerlogistik

 

Erinnern wir uns: Das Kompendium umfasst 1.000 Seiten. Natürlich wird auch die Abwicklung der konkreten Lagerprozesse ausführlich beschrieben. Vom Wareneingang über die Einlagerung, die Warenbewegungen im Lager bis zum Warenausgang - die Autoren widmen sich den Logistikprozessen teils in eigenen Kapiteln, teils in Sammelabschnitten.

Übrigens: Neu sind die Ausführungen zur Integration der Produktionslogistik mittels EWM und jene zur Qualitätsprüfung.

Auch Spezialthemen behandeln die EWM-Experten, darunter z. B. logistische Zusatzleistungen, Kit-Bildung, Cross-Docking oder Formulardruck bzw. die Integration mit anderen SAP-Produkten. Das Reporting logistischer Kennzahlen erhält ein eigenes Kapitel wie auch die Migration auf S/4HANA und SAP EWM.

 

RF-Framework – die präferierte SAP-Option

 

Ein weiteres Spezialthema ist das mobile Arbeiten im Lager. Zum Beispiel mittels Scanner-Lösungen. Für das SAP EWM das SAP-integrierte Radio Frequence-Framework und den darin enthaltenen RF-Transaktionen mitbringt. Dazu gleich mehr.

Vor dem Einsatz einer mobilen Lagerlösung gilt es, grundlegende Mechanismen im SAP EWM einzurichten. Zentraler Mechanismus ist das SAP EWM Ressourcenmanagement. Damit bildet ein Unternehmen sowohl Mitarbeiter als auch Arbeitsmittel (z. B. Gabelstapler) systemseitig ab.

 

optimierte Mobile Lösungen mit SAP EWM RF-Dialog vs. Drittanbieter-Client am Beispiel OntegoMobile Lösungen mit SAP EWM RF-Dialog vs. Drittanbieter-Client am Beispiel Ontego

 

Der SAP-Ansatz ist es, möglichst viele Parameter in der Lagerverwaltung zu konfigurieren. Das geht so weit, dass SAP EWM auch Voreinstellungen der mobilen Screen-Verhältnisse in der Lagerverwaltung vorsieht (zwei Layouts verfügbar für Stapler-Terminals bzw. Handhelds).

Eine zentrale Rolle in der effizienten Abarbeitung mobiler Prozesse spielt die Queue-Steuerung. Die Varianten und deren Einrichtung wird ausführlich dargestellt. EWM bietet im Customizing vielfältige Möglichkeiten, um Lagerprozesse zu optimieren, bspw. durch die automatische Queue-Findung oder das systemgeführte Arbeiten oder weitere Funktionen wie Doppelspiel oder Ressourcenausführungs-Constraints.

 

RF-Framework ist komplex

 

Doch zurück zum RF-Framework. Dessen Darstellung nimmt großen Raum ein. Die Autoren erläutern, dass die Verwendung von RF zunächst sehr komplex sein kann, etwa wenn neue Transaktionen entwickelt werden müssen. Für Neueinsteiger gebe es eine steile Lernkurve. Zugleich biete es Flexibilität, z. B. durch spezifische Screen-Abfolgen.

 

SAP Fiori spielt im mobilen/RF-Umfeld im Lager derzeit keine Rolle, da derzeit im SAP-Standard zu wenige Transaktionen zur Verfügung stehen.
-Bauer, Kappauf und Persich

 

Die Darstellung mobiler Lagerprozesse im Buch verengt sich leider einseitig auf die SAP-Perspektive. Drittanbieter-Lösungen auf Grundlage moderner App-Technologien werden marginalisiert.

Ein Zitat aus dem Buch: “Zusammenfassend lässt sich auf der Basis der vorgebrachten Punkte sagen, dass die mobile Strategie in einem Lager an der Technologie SAPConsole, ITSmobile und EWM MOBGUI nicht vorbeiführt. Lager, die mit Anwendungen von Drittanbietern betrieben werden, müssen höhere IT-Kosten berücksichtigen. Zudem gibt es nur sehr wenige Kunden, die diese Technologie in ihrem Lager einsetzen.”

 

SAP-Technologien für MDE-Lösungen - das Nonplusultra?

 

Die Sichtweise ist die von SAP-Beratern und kann für ein Unternehmen passend sein. Keine Frage.

Wer aber in den Dialogen der mobilen Lagerlösung weniger der Systemlogik, sondern vielmehr den physischen Prozessanforderungen folgen möchte, der sollte eine Drittanbieter-Lösung in jedem Fall prüfen.

Und: Die Tatsache, dass nur wenige Kunden bislang Drittanbieter-Lösungen einsetzen, wird sich mittelfristig mit der zunehmenden Verbreitung von EWM-Systemen relativieren.

Dazu kommt, dass auch Bauer, Kappauf und Persich auf Herausforderungen hinweisen.

Zum Beispiel das Absichern von WLAN-Unterbrechungen (nach Meinung der Autoren eine der wichtigsten Funktionen einer mobilen Lösung). Das gelingt bei Einsatz der im Buch promovierten Technologien nur durch separate, spezielle Industrie-Browser, die die generierten HTML-Webseiten darstellen und teilweise puffern können.

Eine optimierte mobile Lösung sollte (aus unserer Sicht) immer auch die durch die physischen Prozesse bedingten Anforderungen berücksichtigen. Diese können durchaus von der SAP EWM Systemlogik abweichen bzw. Integriert eine moderne mobile Lösung beides sinnvoll in einer App.

 

Daneben sprechen die Autoren weitere Einschränkungen an, die aus Sicht eines Logistikers durchaus auch für eine Drittanbieter-Lösung sprechen dürften:

  • “SAP EWM selbst bietet bisher keine Unterstützung, um Geräte ohne Funktionstasten an das SAP-EWM-System optimal anzubinden.” Damit wird der Einsatz von Full-Touch-Geräten ausgeschlossen bzw. nur unter erhöhten Aufwänden möglich.
  • “... ist EWM MOBGUI derzeit nur in einer Cloud-Umgebung interessant.” Zudem wurde die Technologie ausschließlich mit dem Zebra MC9300 und einem spezifischen Industriebrowser getestet.
  • “Die Erfahrung zeigt zudem, dass SAP Fiori bisher auf mobilen Geräten aus Performance-Sicht nicht zu empfehlen ist. Im Kontext von SAP EWM ist es auch weiterhin nicht geplant, SAP-Fiori-Apps für mobile Geräte im Standard bereitzustellen.” Das bedeutet im Zweifel Abweichungen von einer Fiori-only-Strategie oder hohe Entwicklungsaufwände.

 

Interessant sind neben mobilen Lagerlösungen weitere Möglichkeiten, mit EWM-Prozesse zu optimieren. Die Autoren beschreiben die Nutzung von Pick-by-Voice über RF, RFID-gesteuerte Prozesse, den Einsatz von Wearables oder die Anbindung von Waagen.

 

Fazit

 

“Warehouse Management mit SAP S/4HANA” ist eine umfassende Darstellung der Lagerverwaltung mit SAP EWM. Die Inhalte des Buches zusammen mit den vielen Hinweisen auf weiterführende SAP-Notes ermöglichen einen fundierten Einstieg in das Logistik-Management mit EWM und speziell unter S/4HANA. Das aus unserer Sicht relevante Thema mobiler SAP-Lagerlösungen wird etwas einseitig beschrieben. Folgt man den Autoren des Buches, sind nur die SAP-Bordmittel für mobile Logistikprozesse zu empfehlen.

Unsere Empfehlung an dieser Stelle ist es, sowohl RF als auch andere Ansätze zu prüfen und die für die spezifischen Logistikanforderungen passende Lösung zu wählen. Mit zunehmender Zahl an OData-Services für EWM-geführte Lagerprozesse erweitert sich der Spielraum für moderne EWM-Scanner-Lösungen kontinuierlich.

 

 
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